Warum fange ich ohne Grund an zu weinen? – Plötzlich schießen einem die Tränen in die Augen und man vermag gar nicht genau zu sagen, warum. Das kann für Betroffene erschreckend sein. In vielen Fällen gibt es aber eben doch einen Grund, der nur verschleiert ist. Was hinter dem „Weinen ohne Grund“ stecken kann, wollen wir hier erklären.
„Ich könnte nur noch weinen ohne Grund“ oder „Ich weine jeden Tag ohne Grund“ – solche Sätze hören unter anderem Psychotherapeut:innen relativ oft in der Praxis. Und nicht selten fließen dann erst recht die Tränen. Wirklich grundlos aber laufen die Tränen tatsächlich nur in wenigen Fällen über die Wangen. Neben emotionalen und psychischen Ursachen können auch körperliche Gründe hinter dem nur scheinbaren Weinen ohne Grund stehen.
Hier findest du Gründe dafür, warum du mehr oder weniger oft scheinbar „ohne Grund“ weinst und warum Weinen an sich meist nichts Schlimmes ist (auch nicht für „echte“ Männer). Außerdem erklären wir kurz, welche Funktion das Weinen hat.
Inhaltsverzeichnis
Die Funktion der Tränen
Was sind Tränen eigentlich? Um zu erklären, warum sich für ständiges „Weinen ohne Grund“ manchmal allein schon aus der Zusammensetzung der Tränen doch ein Grund finden lässt, ist es hilfreich, etwas über die Funktion der Tränen zu wissen. Mediziner:innen und Wissenschaftler:innen unterscheiden nämlich drei tatsächlich ganz verschiedene Arten von Tränen, die auch unterschiedlich zusammengesetzt sind:
- basale Tränen
- reflektorische Tränen
- emotionale Tränen
Die basalen Tränen sind wichtig für das Auge. Sie bestehen nicht einfach nur aus Wasser, sondern enthalten Salze, Proteine und Nährstoffe. Tränen halten die Hornhaut feucht und ernähren die Zellen der Hornhaut auch. Ohne sie würde die Hornhaut austrocknen und undurchsichtig werden. Dieser Effekt tritt etwa ein, wenn jemand stirbt und die Augen „brechen“ – weil die Tränendrüsen ihre Funktion einstellen und die Hornhaut binnen kurzer Zeit austrocknet. Außerdem enthält die Tränenflüssigkeit Antikörper, die der Abwehr von Krankheitserregern dienen sowie das keimtötende Protein Lysozym. Mit jedem Lidschlag spült der permanent über das Auge fließende Tränenfilm außerdem kleine Fremdkörper von der Hornhaut.
Von reflektorischen Tränen spricht man, wenn auf einen äußeren Reiz hin plötzlich mehr Tränenflüssigkeit fließt. Das schützt die empfindliche Hornhaut etwa vor Rauch, Dämpfen oder Gasen – zum Beispiel beim Zwiebelschälen. Diese Tränen sind im Vergleich zu emotionalen Tränen dünnflüssiger und enthalten weniger Proteine.
Emotionale Tränen schließlich sind eine menschliche Besonderheit. Nur wir Menschen weinen aus rein psychisch-emotionalen Gründen. In der Zusammensetzung finden sich in Tränen aus emotionalen Gründen unter anderem Hormone wie Serotonin, Prolaktin oder Adrenocorticotropin. Mit diesen Tränen entsorgt der Körper so einen Teil der Hormone, die unter anderem Stressreaktionen auslösen. Vor allem die emotionalen Tränen aus Trauer, aber auch Wut, Angst oder auch Glück und Freude verbinden wir mit dem Weinen.
Die Funktion des Weinens
Weinen und Lachen sind für Menschen elementar wichtig. Es sind sogenannte archetypische Verhaltensweisen. Wir müssen sie nicht erlernen. Weinen als Ausdruck der Mimik wird – manchmal auch ohne Tränen – von allen Menschen verstanden. Bei Säuglingen und Kindern kommt das Weinen noch gleich oft bei Jungen und Mädchen und in allen Kulturen vor – als noch recht universaler Ausdruck von Unzufriedenheit wegen Hunger, Durst, Müdigkeit, Schmerz oder voller Windel. Erst Erziehung und unterschiedliche kulturelle Prägung sorgen für Unterschiede zwischen Jungen/Männern und Mädchen/Frauen (als Geschlechtsidentität gemeint) sowie „offen“ oder „verschämt“ weinenden Kulturen.
Dabei ist Weinen besonders aus negativen Emotionen heraus wichtig für uns alle. Zum einen, so sagen Wissenschaftler:innen, dient es der non-verbalen Kommunikation – in der Regel haben Mitmenschen gegenüber weinenden Menschen ein Hilfsbedürfnis. Zum anderen befreit Weinen psychisch und auch biochemisch von negativen Emotionen, indem etwa Stresshormone regelrecht ausgespült werden. Intensives Weinen nach einem emotionalen Erlebnis, wie etwa einem Verlust, beschreiben viele im Anschluss als befreiend und erleichternd.
Vieles allerdings, was mit dem Weinen zusammenhängt, ist immer noch nicht abschließend wissenschaftlich dargelegt. Klar ist aber, dass Hormone und Reize des vegetativen Nervensystems auf die verschiedenen Arten von Tränendrüsen wirken. Das wiederum erklärt auch viele mögliche Gründe für das scheinbar grundlose Weinen.
Warum weine ich ohne Grund? – „Gründe“ für grundloses Weinen
Wie kann man weinen ohne Grund? In den allermeisten Fällen gibt es einen Grund, auch wenn du vollkommen überzeugt bist: „Ich weine ohne Grund.“ Die eigentliche Ursache ist dann nur nicht offensichtlich.
So ist für das Weinen ohne Grund Stress eine häufige Ursache. In der Familie geht es rund, auf der Arbeit will nichts gelingen, der Chef macht Stress und dann stehst du vor dem Kopierer und weinst, weil der Toner leer ist – zumindest denkst du das. Plötzliches Weinen ohne Grund beziehungsweise wegen der streikenden Technik ist dann aber nicht der Kern des Problems, sondern einfach die Menge an Stress, die dir zu viel wird. Da Weinen einen befreienden Charakter hat – und Stress ungesund ist, brauchst du dich für das Weinen nicht zu schämen. Nimm es vielleicht eher als Zeichen, möglichst Stress abzubauen.
Auch Angst kann Weinen ohne Grund auslösen. Was ein (angeblich) „guter“ Grund zum Weinen ist und was nicht, hängt stark von der Erziehung und der Kultur ab, in der man aufgewachsen ist. Wenn also ein „starker Mann“ (der ja angeblich bekanntermaßen nicht weint) Tränen vergießt, weil er angesichts etwa von Arbeitslosigkeit und klammem Konto Angst vor der Zukunft hat, ist das eher kein Grund, sich zu fragen: „Warum muss ich weinen ohne Grund?“ Sondern vielmehr erst mal in Ordnung und dann ein Zeichen, auf sich selbst zu hören. Ängsten lässt sich begegnen – und auch etwa eine Angststörung ist gut behandelbar. Wenn du wissen möchtest, ob du an einer Angststörung leidest, findest du hier einen Selbsttest zur Generalisierten Angststörung.
Die Frage „Warum weinen Frauen ohne Grund?“ ist nur zum Teil Klischee. Zum einen gibt es (immer noch) einen gewissen Gender-Erziehungseffekt, der Mädchen und Frauen gesellschaftlich eher gestattet zu weinen als Jungen und Männern. Zum anderen spielen dann, rein körperlich betrachtet, beim Weinen ohne Grund Hormone eine Rolle. Das kann bei Frauen insbesondere mit dem Zyklus zusammenhängen, wenn die hormonelle Beschaffenheit während der Tage zu einer erhöhten Sensibilität führt. Hormone beeinflussen das vegetative Nervensystem und die Emotionalität. Beides wiederum interagiert mit der Tränenproduktion.
Aus dem gleichen temporären hormonellen Ungleichgewicht heraus und den zahlreichen Wechselwirkungen, die Hormone im Körper haben, wirken sich die Wechseljahre, die Verhütungspille oder auch eine Schwangerschaft zu einem scheinbaren „immer Weinen ohne Grund“ mit Stimmungsschwankungen hin aus. In diesen Fällen können oft Frauenärzt:innen die richtigen Ansprechpartne:innenr sein.
Nicht durch Hormone, aber generell durch eine erhöhte oder auch Hypersensibilität sind aber auch Männer zum grundlosen Weinen zu bringen. Hochsensible Menschen verarbeiten Emotionen anders und brauchen unter Umständen Methoden zur Entspannung wie Autogenes Training, Meditation oder Ähnliches für ihr seelisches Gleichgewicht.
Häufiges Weinen ohne Grund kann allerdings auch Anzeichen einer ernsthaften psychischen oder auch organischen Erkrankung sein. So geht etwa das Borderline-Syndrom, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung, unter Umständen mit einer sogenannten Affektinkontinenz einher. Darunter versteht man eine krankheitsbedingte Verminderung der Steuerungsfähigkeit von Gefühlsäußerungen.
In diesem Fall passen dann etwa die geäußerten Gefühle nicht zur Situation oder die ausgedrückten Gefühle entsprechen nicht den vom Betroffenen empfundenen. Oft können die Dauer und die Stärke der Gefühlsäußerung nicht kontrolliert werden – und anders als etwa beim gesunden Weinen gibt es anschließend nicht das Gefühl von Erleichterung.
Eine Affektinkontinenz kommt aber auch etwa im Zusammenhang mit organischen Nervenschäden wie bei einem Schlaganfall oder bestimmten Nervenerkrankungen vor. Demenz, Alkoholmissbrauch oder Hirnverletzungen können ebenfalls solche nervenschädigenden Ursachen sein.
Schließlich kann Weinen ohne Grund auch auf eine Depression hindeuten – dann als sekundäres Merkmal etwa der andauernden Traurigkeit und Niedergeschlagenheit. Das Weinen alleine ist allerdings noch kein verlässliches Anzeichen, dazu müssen erst mehrere Symptome zusammenkommen. Wenn du wissen willst, ob du eventuell an einer Depression leidest, findest du hier einen Selbsttest Depression:
Wenn dich Traurigkeit und häufiges Weinen scheinbar ohne Grund belasten, solltest du Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen deines Vertrauens aufsuchen.
Quellenangaben
- Bylsma, L. M. et al. (2020). A clinical practice review of crying research. Psychotherapy: Theory, Research, Practice, Training. https://www.researchgate.net/publication/344208688_A_clinical_practice_review_of_crying_research
- Frey, W.H. et al. (1981). Effect of Stimulus on the Chemical Composition of Human Tears. American Journal of Ophtalmology. https://europepmc.org/article/med/7294117
- Hendriks, M. C. et al. (2008). Social reactions to adult crying: the help-soliciting function of tears. Journal of Social Psychology. https://www.researchgate.net/publication/5376084_Social_Reactions_to_Adult_Crying_The_Help-Soliciting_Function_of_Tears
- Lutz, T. (2001). Crying. The Natural and Cultural History of Tears. Norton.
- Von Büdingen, H. J. (2021). Affektinkontinenz. schlaganfallbegleitung.de. https://schlaganfallbegleitung.de/folgen/affektinkontinenz
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