Zurück 15 Mar 2023 · 9 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner
Schuldgefühle

Es fühlt sich gerade so an, etwas gemacht zu haben, was nicht richtig ist und jetzt plagen dich quälende Schuldgefühle? Was sind Schuldgefühle, welchen Nutzen sehen Psycholog*innen in Schuldgefühlen und was kann man tun, um einen besseren Umgang mit dem eigenen schlechten Gewissen und seinen Symptomen zu finden?

Wann empfinden Menschen Schuldgefühle?

Menschen empfinden Schuld, wenn sie das Gefühl haben, dass sie etwas Falsches getan haben, dass sie gegen ihre eigenen moralischen Ansprüche oder ihre Werte verstoßen haben. Das kann passieren, wenn sie bewusst oder unbewusst etwas gemacht haben, das einer anderen Person geschadet hat oder wenn sie etwas unterlassen haben, was sie hätten tun sollen.

Schuldgefühle können auch durch soziale Normen und Erwartungen ausgelöst werden. Hat eine Person das Gefühl, etwas getan zu haben, was andere als falsch ansehen oder nicht ihren vermeintlichen Erwartungen oder denen der Gesellschaft entspricht, können Schuldgefühle entstehen.

Es gibt auch Fälle, in denen Menschen sich schuldig fühlen, obwohl sie eigentlich nichts falsch gemacht haben. Dieser Fall kann eintreten, wenn sie von anderen kritisiert oder verurteilt werden oder wenn sie unrealistische Erwartungen an sich selbst haben, aber auch nach dem Tod eines geliebten Menschen oder einer ähnlichen Situation.

Das Erleben von Schuld und Schuld auslösende Ereignisse sind individuell sehr verschieden und hängen stark mit dem eigenen Wertvorstellungen, aber auch den uns umgebenden Menschen, unserer Gesellschaft und dem der Kultur, in der wir leben, zusammen. Menschen betrachten unterschiedliche Dinge als unterschiedlich moralisch falsch oder richtig. Was sich für eine Person ganz falsch anfühlt, kann für eine andere Person total richtig oder angenehm sein. Es geht beim Empfinden von Schuld also nicht um eine objektive Einordnung in richtig oder falsch. Vielmehr geht es um Regeln, die Menschen internalisiert haben und die sich von Person zu Person unterscheiden.

Was ist Schuldumkehr?

Nicht nur das Empfinden von sehr starken Schuldgefühlen kann beeinträchtigend wirken, auch das Fehlen von Schulderleben kann Schwierigkeiten hervorrufen. Ein Verhalten, das zum Beispiel bei Personen, die unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, beobachtet werden kann, ist das der Schuldumkehr. Schuldumkehr beschreibt ein Verhalten oder Vorgehen, bei dem eine von einer Person als unangemessen empfundene Handlung stattfindet, die von einer anderen Person ausgeht. Die Schuld für dieses Vorgehen wird von der ausübenden Person jedoch beim Opfer gesucht. Es wird also keine Verantwortung für das eigene Handeln übernommen.

Wie äußern sich Schuldgefühle?

Nicht nur die Auslöser, also die Bewertung des eigenen Verhaltens oder Denkens als schuldhaft, auch die Art, wie sich Schuldgefühle als Reaktion auf die Bewertung äußern, sind von Person zu Person oft sehr verschieden. Die unangenehmen Emotionen können sich sowohl in Gedanken, körperlichen Empfindungen als auch im Verhalten manifestieren. Die mit dem Schuldgefühl verbundenen Gedanken können zum Beispiel die folgenden sein:  “Hätte ich doch…”, “Ich habe etwas falsch gemacht…”, “Warum habe ich es nicht anders gemacht…”. Oftmals sind Schuldgefühle von einem starken Wunsch nach Vergebung oder dem Drang, sich zu entschuldigen und manchmal auch nach Selbstbestrafung begleitet. Gehäufte Selbstzweifel, Selbstvorwürfe und Schuldgefühle können  ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung sein.

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Schuldgefühle können sich auch durch körperliche Symptome zeigen. So können auf physischer Ebene zum Beispiel Muskelverspannungen oder ein Engegefühl im Brustbereich und im Hals auftreten. Weitere körperliche Symptome von Schuldgefühlen können sein: 

  • starkes Schwitzen 
  • Erröten
  • Magen-/ Darmbeschwerden

Wofür sind Schuldgefühle gut?

Oftmals haben Emotionen, auch wenn sie unangenehm sind, einen Nutzen. Schuldgefühle beispielsweise können uns dabei helfen, unsere eigenen Werte zu finden und ihnen treu zu bleiben. Sie helfen uns dabei, sozial gültige Regeln einzuhalten, da wir vermeiden wollen, sie zu erleben. Ihre soziale Funktion besteht außerdem darin, dass wir aus Fehlern lernen können und versuchen, sie wiedergutzumachen. So helfen uns Schuldgefühle dabei, Teil einer Gemeinschaft zu bleiben.

Schuldgefühle und psychische Erkrankungen

Intensive Schuldgefühle können jedoch auch ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung sein. Menschen, die unter einer Depression leiden, neigen zum Beispiel dazu, sich für negative Ereignisse in ihrem Leben selbst verantwortlich zu machen. Aber auch bei anderen psychischen Erkrankungen können Schuldgefühle sowohl als Auslöser, als auch als aufrechterhaltender Faktor eine Rolle spielen, so zum Beispiel bei Zwangserkrankungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen oder psychosomatischen Erkrankungen.

Bei Schuldgefühlen im Zusammenhang mit der Depression können diese dazu führen, dass Betroffene sich abwertend gegenüber sich selbst verhalten, sich Vorwürfe machen und in ein Gedankenkarussell aus Schuldzuweisungen und negativen Selbstannahmen hineingeraten.

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Begriffsabgrenzung: Schuld versus Schuldgefühle

Es ist wichtig, eine Abgrenzung zwischen tatsächlicher Schuld und Schuldgefühlen zu machen. Schuld entsteht dann, wenn ein Gesetz missachtet wird, sei es ein juristisches, soziales oder ethisches Gesetz. Schuldgefühle entstehen jedoch nur dann, wenn ein entsprechendes Gesetz auch unserem eigenen inneren Wertekomplex entspricht, also wenn wir das, was wir getan haben, auch tatsächlich als falsch ansehen.

Was kann man gegen Schuldgefühle tun?

Auch wenn Schuldgefühle eine Funktion haben, können sie mitunter sehr stark werden und dazu führen, dass wir uns machtlos und überwältigt fühlen und so zu einer intensiven Belastung für uns werden, die den Alltag stark beeinträchtigt. Um den unangenehmen Emotionen, die damit verbunden sind, aus dem Weg zu gehen, kann es passieren, dass wir die Schuldgefühle unterdrücken. Doch oftmals passiert bei diesem Versuch genau das Gegenteil: Je stärker wir versuchen, nicht an etwas zu denken, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Gefühl doch hoch kommt. Daher ist es besser, die belastenden Erinnerungen und Gefühle nicht zu unterdrücken, sondern sich ihnen aktiv zu öffnen, um einen Umgang mit ihnen zu finden.

In der Verhaltenstherapie gibt es eine Übung, um Schuldgefühlen zu begegnen, diese nennt sich Schuldkuchen.

Verhaltenstherapeutische Übung “Schuldkuchen”

Dabei malst du einen großen Kreis auf ein Blatt Papier und teilst diesen Kreis in verschiedene Teile, also „Kuchenstücke“, auf. Dabei überlegst du, welche Umstände, Voraussetzungen, vergangenen Erlebnisse, Unglücke, usw. vermutlich einen Teil zu der Situation, in der du dich befindest, beigetragen haben. Anschließend zeichnest du den Anteil mit ein, von dem du das Gefühl hast, es sei deiner: Wie viel Einfluss hattest du, bei all den anderen Umständen, die eine Rolle gespielt haben, wirklich?

Weitere Tipps für den Umgang mit Schuldgefühlen

  • Perspektivwechsel

Wie bei so vielen Dingen, kann es auch bei starken Schuldgefühlen helfen, wenn du versuchst, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten: Möglichst objektiv und von außen. Um eine Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten, gibt es mehrere Möglichkeiten.

Eine Übung aus der Verhaltenstherapie, die sogenannte Pendelübung, hat beispielsweise das Ziel, sich von starken Emotionen zu distanzieren, aber auch, eine andere Perspektive einzunehmen.

Verhaltenstherapeutische Übung "Pendelübung"

Für die Übung stellst du zwei Stühle gegenüber voneinander auf. Ein Stuhl ist der Gefühlsstuhl, der andere der Beobachtungsstuhl. Setze dich zunächst auf den Gefühlsstuhl und stell dir eine Situation vor, die dich in den letzten Tagen emotional bewegt hat. Versuche anschließend diese Situation in der Gegenwart und aus deiner eigenen Perspektive, also in der ersten Person, laut zu beschreiben und versuche hier wirklich alle deine Sinneseindrücke miteinzubeziehen. Beobachte, ob du deine Eindrücke und Emotionen deutlich wahrnehmen kannst. Bevor du die Augen öffnest, sage dir klar und deutlich, dass du nun in die gegenwärtige Situation zurückkehrst. Wechsle den Stuhl und setze dich auf den Beobachterstuhl. Beschreibe nun dieselbe Situation, aber aus der Beobachterperspektive, also in der dritten Person. Versuche nun wahrzunehmen, ob sich deine Eindrücke und Gefühle in dieser Position vielleicht anders anfühlen.
  • Innehalten

Versuche einmal einen Schritt zurückzutreten und das Gefühl von Schuld wahrzunehmen, um es dann aktiv anzuerkennen. Vielleicht hilft es dir dabei, wenn du dir selbst sagst: “Ich fühle Schuld”. Erst im nächsten Schritt kannst du dir Gedanken darüber machen, woher das Gefühl kommt und was der Auslöser dafür war. Dann kannst du dir selbst sagen: “Ich fühle Schuld, weil…”. Wie schon beschrieben kann es passieren, dass unangenehme Emotionen sich besonders dann sehr intensiv anfühlen, wenn wir versuchen sie zu verdrängen. Daher kann das aktive Anerkennen dir schon dabei helfen, das Gefühl von Schuld zu minimieren.

  • Entschuldigungen und Wiedergutmachungen

Dass Schuldgefühle auch nützlich sein können, haben wir ja bereits festgestellt, denn durch sie können wir aus unseren Fehlern lernen oder danach streben, sie wiedergutzumachen. Tatsächlich kann es Schuldgefühle minimieren, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen und sich Fehler einzugestehen, sich zu entschuldigen oder durch eine andere Geste zu zeigen, dass uns das Geschehene leid tut. Versuche jedoch auch, den Entschuldigungen Grenzen zu setzen, dich nicht übermäßig entschuldigen zu wollen und zu überlegen, ob deine Wiedergutmachung der Situation angemessen ist.

  • Verzeihen

Viel wichtiger als dass andere uns verzeihen ist es aber, dass wir uns selbst verzeihen. Fehler zu machen ist ganz normal und passiert uns allen, das ist absolut in Ordnung. Überlege auch, wie du dich in deiner Situation einer anderen Person gegenüber verhalten würdest. - Meistens fällt unser Urteil da viel weniger streng aus, als bei uns selbst. Versuche also, dir selbst die gleiche Art von Verständnis und Mitgefühl entgegenzubringen.

  • Den Blick in die Zukunft richten

Schuldgefühle sind oft geprägt von Gedanken wie “Hätte ich doch…”, “Wäre die Situation nur so gelaufen…”, “Was hätte ich anders machen können…?”. All diese Gedanken sind geprägt durch den Blick in die Vergangenheit. Den Blick auf eine Situation, die bereits geschehen ist und die du auch durch deine Gedanken nicht mehr ändern kannst. Versuche deinen Blick hierbei eher nach vorne zu richten. Überlege dir, was schief gelaufen ist und was du in zukünftigen Situationen anders machen kannst und möchtest. Das Geschehene wird dir dabei helfen, daraus zu lernen und die Dinge in der Zukunft anders zu machen.

  • Psychotherapie

Wenn du merkst, dass deine Schuldgefühle sich über einen längeren Zeitraum nicht verändern, es schwierig für dich ist, alleine einen guten Umgang damit zu finden und sie deinen Alltag zunehmend beeinträchtigen, so kann es hilfreich sein, dich in eine psychotherapeutische Sprechstunde zu begeben, um herauszufinden, ob eine Psychotherapie in deiner Situation das Richtige für dich sein könnte.

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Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. aerzteblatt.de (2015). Depressionen: “Schuldgefühle” im Kernspin sagen Rezidiv voraus. Online verfügbar unter https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64452/Depressionen-Schuldgefuehle-im-Kernspin-sagen-Rezidiv-voraus [14.03.23].
  2. Eigenberg, H., & Garland, T. (2008). Victim blaming. In Controversies in victimology (pp. 33-48). Routledge.
  3. Haffke, Annika (2012). Mit Schuldgefühlen umgehen: So kann es gelingen. Online verfügbar unter https://hellobetter.de/blog/schuldgefuehle/ [14.03.23].
  4. Hirsch, M. (2014). Schuld und Schuldgefühl: Zur Psychoanalyse von Trauma und Introjekt. Vandenhoeck & Ruprecht.
  5. Schmitt, W. (2011). Schuld, Schuldgefühl und Schuldwahn. Psychologische und psychopathologische Aspekte. Schuld: Bearbeitung, Bewältigung, Lösung; strukturelle und prozessdynamische Aspekte, 10, 45.

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