Zurück 20 Sep 2022 · 8 min lesezeit
von Felicitas Eva Lindner

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Wie nennt man Menschen, die nur an sich denken? Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Begriff egozentrisch oder selbstbezogen. Mit Egozentrik sind wir alle hin und wieder konfrontiert. Egozentrische Personen können sehr anstrengend werden und vor allem das Zusammenleben mit ihnen kann sich schwierig gestalten. Wann Egozentrismus ganz normal ist und wie du sehr egozentrische Personen erkennen und angemessen mit Egozentrismus umgehen kannst, erfährst du in diesem Artikel.

Egozentrisch: Definition

Was bedeutet egozentrisch eigentlich? Ursprünglich geht der Begriff auf Jean Piaget, einen Schweizer Entwicklungpsychologen zurück. Seiner Definition zufolge handelt es sich hierbei vor allem um eine Haltung, die bei Kindern auftritt. Der egozentrischen Person oder in diesem Fall dem Kind ist es dann nicht möglich, in das Gegenüber hineinzuversetzen und einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Das von ihm ursprünglich angenommene Kind hat keine Vorstellung über das eigene Ich hinaus. Es lebt quasi nach der Haltung “aus den Augen, aus dem Sinn”, da alles, was außerhalb seines Gesichtsfeldes liegt, für das Kind keine Bedeutung hat. Diese Haltung ist laut Piaget die während der gesamten Kindheit vorherrschende Haltung. Von diesem kindlichen Egozentrismus spricht man bis zu einem Alter von etwa sieben Jahren. Bis dahin ist Selbstzentriertheit völlig normal. Und auch im Erwachsenenalter ist es zunächst nichts Schlechtes, ab und zu egoistisch zu sein und auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu achten.

Im Jugendlichen Alter kommt laut Piaget oft noch eine neue Form des Egozentrismus dazu: Jugendliche nehmen ihre Gefühle als einzigartig wahr und gehen davon aus, dass die Aufmerksamkeit anderer vollkommen auf sie gerichtet ist. In dieser Phase gibt es auch einen Zusammenhang zwischen der Suche nach Identität und Egozentrismus. 

Heute meint Egozentrismus einen ständigen Fokus auf die eigenen Gefühle und Gedanken und Empathielosigkeit anderen Menschen gegenüber. Häufig geht Egozentrismus auch mit Narzissmus einher. Man bezeichnet Egozentrismus als die Unfähigkeit, einen anderen Standpunkt als den eigenen einzunehmen. Man kann also den Standpunkt anderer nicht vom eigenen Standpunkt unterscheiden. Man sieht sich selbst als Zentrum des Geschehens und alles, was passiert, wird von der eigenen Person ausgehend bewertet. Oftmals stülpen sehr egozentrische Personen anderen auch ihre eigenen Emotionen über und gehen davon aus, dass sie sich genauso fühlen wie sie selbst und sich in der gleichen Stimmungslage befinden.

Wissenschaftler*innen haben außerdem herausgefunden, dass die Annahme des egozentrischen Kindes durchaus seine Richtigkeit hat, denn Kinder sind egozentrischer als Erwachsene. Um dieses Verhalten ablegen und mehr Empathie für andere entwickeln zu können, muss sich erst eine bestimmte Gehirnregion ausreichend entwickeln: der supramarginale Gyrus der rechten Gehirnhälfte.

Egozentrismus: Ursachen

Egozentrisches Verhalten und Selbstbezogenheit können viele verschiedene Ursachen haben und oft liegen sie in der Kindheit.

  • Überbehütung: Wenn Kinder von ihren primären Bezugspersonen sehr stark umsorgt werden, fehlt ihnen die Möglichkeit, sich unabhängig von den Bezugspersonen zu entwickeln und ein eigenständiges, gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln.
  • Vernachlässigung: Auf der anderen Seite kann aber auch eine Ursache sein, dass Kinder zu wenig Zuwendung und Aufmerksamkeit von ihren primären Bezugspersonen bekommen haben. Sie wurden in ihren eigenen Bedürfnissen zu wenig unterstützt und eine Kompensierung dessen kann sich als Egozentrismus bemerkbar machen. 

Egozentrische Personen erkennen

Meistens hast du ohnehin schon ein Gefühl dafür, ob du es mit einer egozentrischen Person zu tun hast. Wenn du dir unsicher bist, können dir die folgenden Merkmale von Egozentriker*innen aber dabei helfen, Sicherheit zu erlangen:

  • Einseitige Gespräche: Du hast das Gefühl, sehr einseitige Gespräche mit einer Person zu führen, sie zeigt wenig Mitgefühl und versucht oft, die Aufmerksamkeit auf sich selbst zu ziehen? Du erzählst zum Beispiel von einem unangenehmen Erlebnis in der Arbeit und dein Gegenüber nutzt dies, um von einem eigenen ähnlichen Erlebnis zu erzählen?
  • Einseitige Investition in Beziehung: Du merkst, dass deine Bemühungen um gemeinsame Unternehmungen, Gespräche oder auch anderweitig kaum wahrgenommen und auch nicht erwidert werden? Dein Gegenüber kümmert sich hauptsächlich um sich selbst und scheint sich nicht darum zu bemühen, auch Aufwand in die Beziehung zu stecken.
  • Keine Empathie: Egozentrische Menschen haben Schwierigkeiten damit, anderen gegenüber Mitgefühl zu zeigen und können nur schwer andere Perspektiven als die eigene annehmen. Bei Meinungsverschiedenheiten oder Streits kann oft keine gemeinsame Lösung gefunden werden, da Egozentriker*innen andere Sichtweisen und Argumente nicht als valide ansehen.
  • Mein Leben, meine Regeln: Egozentrische Menschen gehen häufig davon aus, dass Regeln, die für andere gelten, für sie nicht gelten. Sie gehen Dinge in der Regel auf ihre eigene Weise an, was oft dazu führt, dass sie sich unachtsam verhalten und Regeln nicht einhalten. Sie nehmen nicht wahr, wie ihr Verhalten sich auf andere Menschen auswirkt.
  • Rücksichtslos: Sehr selbstbezogene Menschen sind durch ihr Verhalten automatisch sehr rücksichtslos. Sie achten hauptsächlich auf ihre eigenen Bedürfnisse und nehmen die ihres Gegenübers nicht wahr oder verstehen gar nicht, dass sie anders als ihre eigenen sein könnten. In einer Partnerschaft zeigt sich das zum Beispiel dadurch, dass Egozentriker*innen nur bereit sind, gemeinsam Aktivitäten zu unternehmen, wenn sie ihnen selbst gefallen, sie ihren Lieblingsfilm schauen oder ihr Lieblingsessen essen können.
  • Kontrollfreaks: Egozentriker*innen wirken außerdem oft sehr kontrollierend. Sie bestehen darauf, dass Dinge so gemacht werden, wie sie es für richtig halten und sind dabei sehr unflexibel.
  • Nicht kritikfähig: Egozentrischen Personen fällt es schwer, Kritik anzunehmen. Wenn du versuchst, ihnen Feedback zu geben, läuft es oft darauf hinaus, dass sie dein Feedback nicht ernst nehmen oder dass sie gar keine Verantwortung für ihr eigenes Verhalten und den damit verbundenen Schaden übernehmen können oder wollen. Sie werden schnell defensiv und ein Gespräch auf Augenhöhe ist dann nicht mehr möglich.

Tipps für den Umgang mit egozentrischen Menschen

Wenn du weißt, dass du eine egozentrische Person in deinem Umfeld hast und lernen möchtest, einen guten Umgang mit dieser Person zu finden, haben wir im Folgenden ein paar Tipps für dich zusammengefasst.

  • Grenzen setzen: Im Zusammenleben mit egozentrischen Personen kann es hilfreich sein, Grenzen zu setzen, am besten im Vorhinein. Wenn ihr zum Beispiel ein Treffen vereinbart, du aber danach verabredet bist, dann kommuniziere im Vorhinein klar, wie lange du Zeit hast. 
  • Realistische Erwartungen: Natürlich können Menschen ihr Verhalten bis zu einem gewissen Grad ändern, wenn sie das möchten. Erwarte aber von einer egozentrischen Person nicht, dass sie sich wegen dir oder für dich ändern wird. Versuche stattdessen, ihr Verhalten zu akzeptieren und herauszufinden, auf welche Weise diese Person auch Positives in dein Leben bringen kann. 
  • Offenheit: Dennoch ist es wichtig, die eigene Gefühlslage zu kommunizieren und deinem Gegenüber zu sagen, wie es dir mit der Situation geht. Um nicht auf Unverständnis zu stoßen, versuche deine Gefühlslage möglichst neutral und mit Ich-Botschaften zu formulieren sowie Beispiele zu bringen, damit sich die andere Person so wenig wie möglich persönlich angegriffen fühlt.
  • Bewältigungsstrategien finden: Es ist nicht immer möglich, egozentrischen Personen aus dem Weg zu gehen, wenn es sich beispielsweise um eine*n Partner*in, ein Familienmitglied oder eine Person im Arbeitsumfeld handelt. Dann kann es hilfreich sein, Bewältigungsstrategien zu erarbeiten, die den Umgang mit der Situation erleichtern.
  • Schlussstrich ziehen: Hast du das Gefühl, dass deine Grundbedürfnisse in einer Beziehung nicht erfüllt werden? Dann ist es vielleicht an der Zeit, die Beziehung zu verlassen. Egal, ob es sich um eine romantische, eine freundschaftliche oder eine professionelle Beziehung handelt, es macht keinen Sinn, einseitige Verbindungen aufrechtzuerhalten.

Egozentrik in der Beziehung

Eine romantische Beziehung mit einer egozentrischen Person zu führen kann sehr anstrengend sein. Wahrscheinlich musst du deine eigenen Bedürfnisse oft hinten anstellen und fühlst dich schnell ausgelaugt und nicht gesehen. Wenn du wirklich eine Veränderung bewirken möchtest, ist offene Kommunikation unglaublich wichtig und du solltest mit der anderen Person teilen, wie es dir geht, auch wenn die Gefahr besteht, dass du damit auf verschlossene Ohren stößt. Vielleicht bringst du dein Gegenüber so aber auch zum Nachdenken und ihr könnt gemeinsam an eurer Beziehung arbeiten. Dennoch sollte dir bewusst sein, bis zu welchem Punkt es sinnvoll ist, die Beziehung aufrechtzuerhalten und wann du sie zu deinem (langfristigen) Wohl vielleicht beenden solltest.

Egozentrik am Arbeitsplatz

Wie ist es nun aber möglich, mit einer Person produktiv und angenehm zusammenzuarbeiten, die den Fokus stets bei sich hat? Schon die eigene Fähigkeit zur Empathie, die egozentrischen Menschen oft fehlt, kann dabei stark helfen und den Umgang mit selbstbezogenen Kolleg*innen erleichtern. Insbesondere hilft diese Fähigkeit auch dabei, je nach Situation individuell agieren und reagieren zu können. Grundsätzlich gelten für den Umgang mit egozentrischen Personen am Arbeitsplatz die gleichen Regeln wie in Beziehungen, wir haben hier noch einige für dich zusammengefasst, die im professionellen Kontext hilfreich sein können:

  • Nicht alles ernst nehmen: Wenn du dir bewusst machst, dass wir alle unterschiedlich gute Tage haben, fällt es dir vielleicht einfacher, nicht alles ernst zu nehmen, was dein selbstbezogenes Gegenüber von sich gibt. Das erleichtert das gemeinsame Arbeiten enorm und hilft vielleicht auch dabei, dass Egozentriker*innen sich selbst ein kleines bisschen weniger ernst nehmen.
  • Lob aussprechen: Es kann helfen, ständigem Selbstlob anderer tatsächlich auch mit Lob zu begegnen. Sprich es offen an, wenn du mit der Arbeit einer Person zufrieden bist.
  • Eigene Fehler einräumen: Gleichzeitig ist es in diesem Zusammenhang auch wichtig, sich eigene Fehler eingestehen zu können und das zu kommunizieren.

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Ein Artikel von

Felicitas Eva Lindner Redakteurin · Journalismus M.A. | Psychologie B.Sc. | Psychologie M.Sc.

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Quellenangaben

  1. Bienengräber, T. (2013). Vom Egozentrismus zum Universalismus: Entwicklungsbedingungen moralischer Urteilskompetenz. Springer-Verlag.
  2. Laderer, Ashley (2022). Sieben Anzeichen dafür, dass ihr einen ich-bezogenen Menschen vor euch habt – und wie ihr mit ihm umgeht. Online verfügbar unter https://www.businessinsider.de/leben/sieben-anzeichen-dafuer-dass-ihr-einen-ich-bezogenen-menschen-vor-euch-habt-und-wie-ihr-mit-ihm-umgeht-a/ [13.08.22].
  3. lexikon.stangl.eu (o.J.). Egozentrismus. Online verfügbar unter https://lexikon.stangl.eu/6/egozentrismus-egozentrizitaet/ [13.08.22].
  4. Mai, Jochen (2020). Egozentrik: Wie Sie damit umgehen. Online verfügbar unter https://karrierebibel.de/egozentrik [13.08.22].
  5. mpg.de (2014). Emotionale Egozentrik wächst sich aus. Online verfügbar unter https://www.mpg.de/8221455/emotionale_egozentrik_kinder [13.08.22].

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