Zurück 16 Jun 2022 · 10 min lesezeit
von Hanna Eggebrecht

Akzeptanz bedeutet, etwas oder jemanden annehmen, anerkennen, einwilligen, hinnehmen, oder billigen. Zu akzeptieren beruht auf Freiwilligkeit. Akzeptanz geschieht aktiv, im Gegensatz zur “passiven” Toleranz.

Bei einer Depression und anderen psychischen Störungen gehört Akzeptanz zur Therapie. Fällt es schwer, etwas zu akzeptieren, kann sich das ungünstig auf den Krankheitsverlauf auswirken. Hast du das Gefühl, an depressiver Verstimmung zu leiden? Mach hier den wissenschaftlich fundierten Selbsttest.

Was ist Akzeptanz?

Laut „Brockhaus“ ist Akzeptanz als 

  • "bejahende oder 
  • tolerierende

Einstellung von Personen oder Gruppen gegenüber normativen Prinzipien oder Regelungen, auf materiellem Bereich gegenüber der Entwicklung und Verbreitung neuer Techniken oder Konsumprodukte; dann auch das Verhalten und Handeln, in dem sich diese Haltung ausdrückt zu verstehen." 

Als Akzeptanz- Synonym kann Anerkennung gelten.

Wie lerne ich akzeptieren zu können?

  1. Um alltäglichen Stressoren besser begegnen zu können, kann diese Übung helfen. Sich gelegentlich hinzusetzen und zu fragen: „Gibt es etwas, das ich gerade nicht gut akzeptieren kann?“. Der Psychotherapeut Andreas Knuf rät in einem Interview mit dem Magazin “Psychologie Heute”, sich die stressige Situation in ihrer Gesamtheit vorzustellen und sie in allen Aspekten zu betrachten. Wenn man alle Faktoren einer Situation betrachtet, löst sich das Problem zwar nicht, aber man versteht es besser – und hört mit großer Wahrscheinlichkeit auf, die ganze Zeit zu kämpfen und zu hadern.
  2. Sing deine Sorgen (der Harry Potter Trick!): Wer sich an Professor Lupin aus dem dritten Harry Potter Film erinnert, dem fällt vielleicht die Stunde ein, in der die Zauberschüler:innen in einer Reihe ihre Ängste verwandeln sollen, indem sie sie lächerlich machen. Neville “entzaubert” den angstvollen Snape, in dem er ihn in das Outfit seiner Großmutter steckt. So ähnlich funktioniert auch der Trick aus der Acceptance and Commitment Therapie (ACT). Die Strategie der sogenannten kognitiven Defusion verändert die Wirkung bedrohlicher Gedanken. Indem man Sätze oder Gedanken, die Sorgen auslösen zum Beispiel in der Melodie eines Schlagers singt oder ihn 50-mal hintereinander sagt, schwächt sich seine Bedeutung ab. Auch das laute Sprechen mit einer lustigen Micky­maus­stimme hilft. Diese Verfremdungen bewirken, die destruktive Macht, die solche Sorgen über uns haben können, zu schwächen – ohne die sorgenvollen Gedanken selbst zu vermeiden.
  3. Arm in Arm mit dem Monster: In der ACT gibt es viele anschauliche Metaphern, die klarmachen, warum es hilft, ein bedrohliches Gefühl wie Trauer oder einen physischen Schmerz auszuhalten. Besonders drastisch ist das Bild, dass man mit seinem Monster – also dem Schmerz oder Leid nicht kämpfen sollte, sondern es umarmt und Arm in Arm mit dem Monster seinen Lebensweg weitergeht. So hat man “die Arme frei”, denn wer ständig gegen Sorgen und Ängste kämpft hat keine freie Sicht, kann sich nicht weiterbewegen.
  4. Neue Möglichkeiten finden: In Momenten des Scheiterns oder wenn man abgelehnt wird, hadern manche sich die schwäche zu verzeihen oder einzugestehen. Um sie besser akzeptieren zu können, empfiehlt ein Psychotherapeut, sich selbst die Frage zu stellen: „Wenn ich zur Akzeptanz fähig wäre, was würde ich dann jetzt tun oder denken?“ Wer sich in diese Situation hineinversetzen kann, wird vielleicht neue Lösungsmöglichkeiten entdecken, die einem vorher nicht in den Sinn kamen.
  5. Wie bei einem Kind: Wenn wir Freunde oder Angehörige trösten, gelingt das oft besser als bei einem selbst. Deshalb kann man sich bei Schmerzen oder unangenehmen Gefühlen vorstellen, dass man sich selbst so tröstet, wie man es bei einem Kind tun würde. Mit diesem Bild vor Augen fällt es vielen Menschen leichter, den Schmerz auszuhalten und anzunehmen. 

Angst gehört dazu

Bei der Acceptance and Commitment Therapie geht es viel um Akzeptanz: diese soll therapeutisch wirken, indem sich anbahnende Ängste und katastrophisierende Gedanken einfach als das gesehen was sie sind (Gedanken) und nicht als Realität. Sie zu akzeptieren hilft dabei, sie nicht ernst (real) nehmen zu müssen. Es geht also hier nicht darum die Ängste zu verändern, indem sie zum Beispiel in Gedanken umstrukturiert, sondern sie anzunehmen.

Der Psychotherapeut Matthias Wengenroth hat laut einem Bericht in seiner Praxis schon öfter bemerkt, dass es bei Menschen, die Angststörungen haben, am Anfang einer Therapie meistens erstmal "gar keine Ängste haben", also sie wie "weggeblasen" sind. Er erklärt sich dieses Paradox so, dass diese Personen bereits sehr gut gelernt haben, wie sie Angst im Alltag vermeiden. Das Vermeidungsverhalten ist also so ausgeprägt, dass die Angst erstmal wieder "provoziert" werden muss.

Um herauszufinden, ob du möglicherweise Anzeichen für eine Angststörung zeigst, kannst du hier den wissenschaftlich fundierten Selbsttest machen. 

Das sogenannte “Reinschreibbuch” bietet aktives Akzeptanz- Training, wenn nach einer alltäglichen Übung gesucht wird.

Warum wir Akzeptanz brauchen

Nicht nur lebensverändernde Krisen wie Tod, Umweltkatastrophen und Trennung, auch alltägliche Stressmomente erfordern Akzeptanz. Zu den “kleinen” Nervtötern des Alltags gehört zum Beispiel auch, sich auf einen Cappuccino gefreut zu haben und stattdessen nur einen Filterkaffee zu bekommen. Die Mini- Enttäuschungen, wie der Psychotherapeut Andreas Knuf sie nennt, sind ein gutes Übungsfeld, um den eigenen Umgang mit Akzeptanz bewusster wahrzunehmen, zu verstehen und gegebenenfalls auch zu ändern. Sobald man sich und seine Gefühle bewusst wahrnimmt, wird man schnell feststellen, dass man auf unangenehme Situationen oder kleine Enttäuschungen oft mit Abwehr oder Empörung reagiert – und nur selten mit einer akzeptierenden Gelassenheit

„Wir hadern im Alltag häufig mit den Dingen, die wir nicht ändern können, von denen wir aber glauben, dass wir ein Anrecht darauf haben.“

Durch die eigene Sensibilisierung in diesen Mini- Enttäuschungssituationen erfährt man mehr über die eigene Akzeptanz und bekommt auch mehr Gespür dafür, wann eine Situation einfach nicht veränderbar und ein akzeptierende Haltung angebracht ist. Wer das kann, entwickelt schneller Handlungsalternativen. Ein einfaches Beispiel ist: wer akzeptiert, dass es im Urlaub regnet, der zieht sich wetterfest an und geht trotzdem raus. Oder bleibt mit einem guten Buch im Hotelbett. Ein gewisser Pragmatismus wäre also die Folge aus dieser Akzeptanz.

Wer mehr vom Therapeuten Andreas Knuf lesen möchte, dem sei das Buch “Ruhe, ihr Quälgeister” empfohlen: “Krisenhafte Lebenssituationen. Trennungen, Umzüge, Arbeitsplatzverlust, Naturkatastrophen und Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen sind äußere Schicksalsschläge, die wir verarbeiten müssen. Akzeptanz hilft als eine Art vermittelnde Haltung bei der Bewältigung.” (Arkana, München 2013)

Was heißt radikale Akzeptanz?

Radikale Akzeptanz bezeichnet einen Prozess, bei dem man großen Herausforderungen und emotionalen Veränderungen im Leben im aktuellen Augenblick gegenübersteht. Anders als bei normaler Akzeptanz, die manchmal auch erst im Rückblick eintritt, ist radikale Akzeptanz einem im Moment bewusst. Besonders im Sport, wenn man über sich hinaus wächst, kann man radikal akzeptieren.

Akzeptanz in der Liebe

„Wenn Sie lernen, die Unterschiede zwischen Ihnen und Ihrem Partner wirklich zu akzeptieren, werden Sie merken, dass Ihre Frustration, Ihr Groll und Ihre Wut sich aufzulösen beginnen, so dass Sie die vielen Freuden genießen können, die eine gesunde Beziehung Ihnen bietet“- Russ Harris.

Eines der nervtötenden Themen in längeren Beziehungen kann der wiederkehrende Streit um die gleichen Kleinigkeiten und die Rechthaberei sein, die sich schnell routinemäßig entwickelt. In seinem Buch beschreibt der Psychotherapeut und ACT- Therapeut Russ Harris gängige Mythen über die Liebe, die Paare davon abhalten, akzeptieren zu können. So denken wir zum Beispiel fast alle „Liebe muss einfach sein“ und „Mein Partner muss der Richtige für mich sein und perfekt passen“. Dabei sei das Gegenteil der Fall, sagt Harris in einem Interview:

“Liebe ist kompliziert, tut manchmal weh. Und einen perfekten Partner gibt es nicht."

Weil es schwer fällt, die Tatsache über (romantisierte) Liebesbeziehungen zu akzeptieren wird oft versucht, den Partner zu verändern, um doch in den Zustand der Vorstellung zu kommen. Dabei wird häufig übersehen, dass einige Paarkonflikte, zum Beispiel über Unordnung, Verspätungen, Schweigen, am Schluss auf eher tiefer liegende Charaktereigenschaften zurückgehen und wenig änderbar sind (und sein sollten!). Ein einfacher praktischer Schritt ist laut Russ Harris etwa, 

  • typische wiederkehrende Streitthemen zu akzeptieren 

Das bedeutet, dass man sich in einem Gespräch mit dem Partner oder auch in einer ruhigen Minute allein klar macht, welche ein oder zwei typischen Dauerkonflikte es gibt. Dann gibt man die immer wiederkehrenden nervenden Punkte ein möglichst plastisches Etikett wie „Zeitfresser“ oder „Das Verarmungsmonster“. Wenn man dann das nächste Mal im Streit auf diesen sinnlosen Konflikt zusteuert, wird dieses Wort gesagt oder einem in Erinnerung gebracht. Man kann es auch zusammen laut aussprechen. Das Label führt dazu, dass man den Gefühlen, die mit dem Streit aufkommen die Kraft und Energie nimmt und ein bisschen Abstand gewinnen kann- vielleicht sogar mit Humor. Sehr viele Paare können so ihre Streits deutlich reduzieren, hat Harris festgestellt.

Eine Ursache für das eigentlich widersprüchliche Verhalten, immer wieder um gleiche Themen zu streiten, ist vermutlich, dass das Akzeptieren von Streit- und Schwachpunkten generell kein gutes Image hat (man gibt auf).

„Etwas ruhenzulassen oder zu akzeptieren wird oft fälschlicherweise mit Resignation oder Kapitulation gleichgesetzt“.

Doch das ist laut Psychotherapeut Wengenroth ein Irrtum. Denn wer etwas akzeptieren kann, der entscheidet sich aktiv für etwas, statt dagegen. Er blickt den Dingen, die er am Partner nicht mag, ins Auge und lässt sie (gekonnt) so stehen. Dieser Prozess ist für viele Menschen ungewohnt und entfaltet oft eine ganz eigene Dynamik.

Was Akzeptanz mit Psychotherapie zu tun hat 

Die Techniken der ACT können zwar als allgemeine Lebenshilfe in Krisen eingesetzt werden, primär wurde der Ansatz aber entwickelt, um bei klinischen Syndromen wie Depressionen oder Angststörungen eine Hilfe zu sein.

  • Akzeptanz und Commitment Therapie

Die ACT wurde von dem Psychologieprofessor und Therapieforscher Steven Hayes entwickelt und stellt verschiedene Techniken bereit, mit denen Menschen lernen können, eine Haltung der Akzeptanz einzunehmen oder, wie Hayes sagt, „eine Bereitschaft zu entwickeln, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen, die ihnen widerfahren, offen anzunehmen“. Ein wichtiger Lernprozess besteht in der Therapie darin, die oft unbewusst und automatisch ablaufenden Prozesse der Erlebnis- und Emotionsvermeidung zu erkennen und mehr Vertrauen zu entwickeln, auch unangenehme Gefühle anzunehmen.

„Akzeptanz ist nichts, was wir willentlich herbeiführen können. Wer sich vorstellt, dass er ‚einfach loslässt‘ oder ‚die Dinge annimmt‘, kommt damit meist nicht weit. Viele Menschen setzen sich dann sogar zusätzlich unter Druck, weil das Annehmen nicht prompt gelingt.“ 

Akzeptanz ist ein komplexer Prozess, der sich nach und nach vollzieht und der Zeit braucht. Dabei ist der Ansatzpunkt kein Punkt auf einer To-Do Liste!

„Der Dreh- und Angelpunkt, um einen ersten Zugang zur Akzeptanz zu bekommen, besteht immer in der Annahme der eigenen Gefühle“,

so Psychotherapeut Knuf. Der Schmerz, der bei einer Trennung aufkommt, die Minderwertigkeitsgefühle, die eine Kündigung mit sich bringt, die Enttäuschung, die wir spüren, wenn eine andere Person uns abweist, all diese unangenehmen Gefühle gilt es zunächst einmal bewusst wahrzunehmen, eventuell auch zu benennen– und auszuhalten. In der ACT unterscheidet man zwischen „sauberem“ und „schmutzigem“ Kummer: 

  • sauberer Kummer: wenn sich Schmerz direkt auf die persönliche Realität und die Krise bezieht, in der eine Person steckt (zum Beispiel: das Weinen um einen Verstorbenen, die Wut und Enttäuschung um einen zerplatzten Lebenstraum) 
  • schmutziger Kummer: entsteht immer dann, wenn man versucht, den sauberen Kummer zu kontrollieren und zu vermeiden (zum Beispiel: Trennungsschmerz in Alkohol ertränken, nach der Kündigung mit Chefs und Kollegen Streit anfangen)

Der wichtige Unterschied ist, dass der sogenannte “saubere” Kummer eine Signalfunktion hat: Etwas Wertvolles, Kostbares ist verloren gegangen, beschädigt worden oder in Gefahr. “Schmutziger” Kummer hingegen führt laut Studien dazu, dass das Leid sogar stärker wird und sich in Lebenskrisen verwandeln kann.

Die Psycholog:innen Neharika Chawla und Brian Ostafin haben in einem Studienvergleich herausgefunden, dass Emotionsvermeidung bei psychischen Symptomen wie Ängsten, Depressionen oder Süchten so gut wie immer den Leidensdruck erhöht. 

Der rosa Elefant: Warum geht es uns schlechter, wenn wir nicht akzeptieren, was geschehen ist?

Eine Erklärung stammt von den Psychologen Richard Wenzlaff und Daniel Wegner, die schon vor fast zwanzig Jahren in Experimenten feststellten, dass das Unterdrücken von Gedanken, Gefühlen oder Erinnerungen meistens einen sogenannten rebound effect erzeugt, dass also gerade Emotionen oder Kognitionen, die man zu unterdrücken versucht, eher wieder zurückkommen, zum Teil sogar stärker als vorher. Der Zusammenhang ist uns heute geläufig. Oft wird er ausgedrückt in der Floskel: „Versuch mal, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken.“ Und genau das gelingt dann eben nicht mehr. Wer Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen aus dem Kopf bekommen will, verfolgt eine aussichtslose Strategie. Die Studienergebnisse legen deshalb nahe, dass es in psychischen Krisen oder bei psychischen Störungen eher hilft, wenn man eine akzeptierende Haltung findet, statt Symptome oder Schmerz wegzudrücken.

Ein Artikel von

Hanna Eggebrecht Redakteurin · B.Sc. Psychologie | M.Sc. Psychotherapie

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Quellenangaben

  1. https://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/39044-akzeptieren-wie-es-ist.htmlhttps://www.psychologie-heute.de/leben/artikel-detailansicht/39047-akzeptanz-lernen.html
  2. Matthias Wengenroth: Das Leben annehmen. So hilft die Akzeptanz- und Commitment-Therapie Hogrefe, Bern 2016
  3. Matthias Wengenroth: Therapie-Tools, Akzeptanz- und Commitmenttherapie Beltz, Weinheim 2017
  4. Russ Harris: ACT der Liebe. Arbor, Freiburg 2015

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