Menschen die eine Essstörung entwickeln oder bereits haben, können zusätzlich weitere Symptome haben oder bekommen, die vielleicht nicht nur zur Essstörung gehören. Das kann zum Beispiel die Depression sein. Das Gefühl von Kontrolle und Perfektionismus kann Essstörungen begleiten, während innere Leere, Freudlosigkeit oder Schlafstörungen auch Anzeichen für eine Depression sein können.
Inhaltsverzeichnis
Appetitlosigkeit: Psyche ist mit verantwortlich
Hunger und Appetit sind nicht dasselbe. Hunger ist ein körperlich ausgelöstes Signal, das uns daran erinnert, dass wir etwas essen müssen, um weiterhin Energie für unsere Tätigkeiten zu haben.
Appetit ist ein psychisches Phänomen: Wenn man Appetit hat, steigt die Lust auf etwas bestimmtes, man hat sozusagen Lust, sich dieses Nahrungsmittel “einzuverleiben”. Kein Hungergefühl oder keinen Appetit zu haben bedeutet, dass man keine Lust auf etwas Essbares/ Nahrung verspürt. Häufig sind es
- Nebenwirkungen von Medikamenten,
- Schwangerschaft,
- körperliche Erkrankungen (Diabetes, Schilddrüsenüberfunktion)
- psychische Erkrankungen wie eine Depression oder
- Stress und Konflikte
die das Essverhalten beeinflussen und zu Appetitlosigkeit führen können.
Ich spüre keinen Hunger mehr: Was ist Hunger?
Das Hungergefühl tritt ein, wenn der Blutzuckerspiegel (Glukose-Anteil im Blut) des Körpers unter eine bestimmte individuelle Grenze gerät, weil wir Energie verbraucht haben. Das kann durch Bewegung, konzentrierte Arbeit oder auch die eigene Verdauung passieren. Außerdem wird Leptin, ein Hormon, das den Stand unserer Reserven "anzeigt", im Blut verteilt.
Je weniger Leptin im Blutkreislauf “schwimmt”, desto öfter haben wir Hunger.
Bei Personen mit Übergewicht und Adipositas schwimmt eine große Menge Leptin im Blut, sodass es zur “Leptin- Resistenz” kommt und es kein Sättigungsgefühl mehr gibt.
Ein Sättigungsgefühl bekommen wir normalerweise dann, wenn wir so viel Nahrung (in Form von zerlegten Zuckerteilchen) aufgenommen haben, dass unser Körper den Blutzuckerspiegel “aufgefüllt” hat. Wir haben dann wieder genug Reserven zur Verfügung, um Energie zu verbrauchen.
Heißhunger, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen: Das sind zum Beispiel “Nebenwirkungen” einer Diät oder vom Fasten.
Es "schwimmt" sehr wenig Leptin im Blut, sodass eine Heißhungerattacke folgt. Bei manchen Erkrankungen oder der Einnahme von Medikamenten ist dieses Gleichgewicht außer Kraft. Die Anzeichen von Essstörungen,
- kein Hungergefühl bzw. Sättigungsgefühl haben (sich “überfressen”)
- zu viel essen und sich übergeben: Übelkeit nach dem Essen (psychisch und physisch)
- Hungern
- nur speziell ausgewählte Nahrungsmittel zu sich nehmen können
- Hunger haben aber Ekel vor Essen spüren,
deuten zum Beispiel auf ein aus dem Gleichgewicht gekommenes Essverhalten hin.
Appetitlosigkeit: psychische Faktoren
Im “Minnesota Starvation Experiment” von 1944 wurden u.a. die psychischen Auswirkungen von Hunger untersucht. Dazu zählten:
- Stimmungsschwankungen
- Aggression
- Schlafstörungen
- Depression
- verminderter Sexualtrieb
Personen mit depressiven Symptomen begegnen drei typischen Herausforderungen, die in der Beziehung zum Essen eine Rolle spielen:
- Zu wenig trinken und nichts essen können: Eine Depression fühlt sich häufig wie ein starkes Gefühl der Erschöpfung an. Der Gedanke daran, Essen zu planen, zuzubereiten oder auch einkaufen gehen, kann dann überfordernd sein. Auch kann Essen Stress bedeuten und dazu führen, dass du immer nur schnell zwischendurch isst und dich danach schuldig fühlst, dich schämst oder vor allem ungesunde Dinge, die schnell Energie geben, zu dir nimmst. Depression und Essstörung treten häufig gemeinsam auf oder entstehen nacheinander. Tipp: Mach dir eine Liste von Gerichten, die du jederzeit ganz einfach und ohne viel Aufwand zubereiten kannst (Beispiele: Müsli mit frischen Früchten, Rührei, Nüsse oder Brot mit Avocado).
- Essen mit Entspannung verwechseln: Gerade weil Essen eine so ablenkende und gemütliche Wirkung hat, kompensieren viele Menschen Druck, Stress und jegliche Gefühle mit Essen. Unglücklicherweise wird uns heutzutage häufig vermittelt oder gesagt, dass das eine schlechte Eigenschaft ist. Es gibt in dieser Hinsicht mit Sicherheit keine grundsätzliche Regel. Selbst wenn du aus emotionalen Gründen isst, ist das oftmals ein unbewusster Akt, für dich zu sorgen. Das ist der Weg, den du kennst und der dich kurzzeitig befriedigt. Das bedeutet nicht, dass das „schlecht“ ist oder du ein schlechter Mensch bist. Gibt es eine dauerhaft gesunde Art für dich zu sorgen? Beispielsweise, wenn du deine Bedürfnisse wichtigen Menschen gegenüber formulierst und für dich einstehst? Tipp: Erinnere dich immer daran, dass dein Verhalten ein Ausdruck der Selbstfürsorge ist und dass du das Beste tust, was du gerade kennst und kannst.
- Kein Appetit: Es ist mittlerweile durch Studien belegt, dass u.a. Appetitlosigkeit ein deutlicher Anzeiger für Depressionen sein kann. Eine Depression kann demnach dazu führen, dass du keinen Appetit mehr hast. Es kann sein, dass du den Eindruck hast, nichts essen zu können und alles andere egal ist und du einfach nur noch schlafen möchtest. Nicht genug essen oder auch durchgehend über den körperlichen Hunger hinaus essen, kann die Symptome einer Depression verstärken.
Falls dich dieses Thema begleitet oder du gerade mit Appetitlosigkeit ein Thema hast, dann unterstützen dich vielleicht diese Tipps:
- Iss kleine, dafür mehrere Mahlzeiten am Tag
- Iss nur Dinge, die du liebst und kennst
- Iss in Gemeinschaft mit anderen, wenn das geht
- Erst essen, dann trinken, damit dein Magen nicht schon vorher gefüllt ist
Es kann natürlich auch sein, dass dein Appetit rasant steigt. Sprich in jedem Fall mit deinem Hausarzt bzw. Hausärztin, deiner Psychotherapeutin bzw. Psychotherapeut oder Familie und Freunden darüber.
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Wie kann sich eine Depression für Menschen mit Essstörung anfühlen?
Die Ängste und damit verbundene Sorgen und Grübeln, die hinter einem kontrollierten Essverhalten liegen – überessen, erbrechen oder hungern – können für eine Depression sprechen. Zum Beispiel haben Untersuchungen gezeigt, dass fast 50% aller Menschen mit Essstörungen auch eine Depression haben.
Hier kannst du typische Symptome und Anzeichen für eine Depression nachlesen. Somit weisen die beiden Arten von psychischen Störungen starke Ähnlichkeiten auf. Diese können sich für Betroffene dann so anfühlen:
- depressive und ängstliche Stimmung
- Reizbarkeit
- keine Lust auf Unternehmungen
- plötzliche Gewichtszunahme oder Gewichtsabnahme, ohne das Halten einer Diät
- gar kein oder ganz starker Appetit über einen längeren Zeitraum
- Schwierigkeiten beim Einschlafen oder Durchschlafen
- immer müde und erschöpft sein
- das Gefühl, unwichtig zu sein oder sich ohne Grund schuldig zu fühlen
- Konzentrationsschwierigkeiten oder Schwierigkeiten bei Entscheidungen
- darüber nachdenken, ob das Leben noch einen Sinn hat oder Selbstmordgedanken
Wenn einer der Punkte auf dich zutrifft, dann kann es hilfreich für dich sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gern kannst du auch hier ein kostenloses Infogespräch mit einem unserer Psycholog*innen vereinbaren und dich über das Angebot von Selfapy beraten lassen.
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Kein Appetit und depressiv: Anzeichen
Oft hängen Depression und Essstörung zusammen und verstärken sich gegenseitig. Es ist wichtig, die Symptome auch in Kombination zu betrachten. Ob nun erst die Depression oder erst die Essstörung da war, ist nicht unbedingt entscheidend für eine erfolgreiche und nachhaltige Therapie. Viel wichtiger ist, das unsichtbare Zusammenspiel zu erkennen und zu betrachten, da sich Depressionen und Essstörungen gegenseitig verstärken können.
“Menschen mit Magersucht sind häufig von einer Depression betroffen. Auf die gesamte Lebenszeit gesehen, erkranken sie im Vergleich zur Bevölkerung 2,5-fach so häufig daran.” – BzgA
An diesen Anzeichen kannst du das unsichtbare Zusammenspiel erkennen:
- Deine Essstörung gibt dir kurzzeitig ein gutes Gefühl, denn das Überessen beruhigt und füllt die innere Leere. Essen und Erbrechen erleichtern und hungern gibt dir das Gefühl von Kontrolle und Macht.
- Überessen, Erbrechen und Hungern und all die Gedanken an Gewicht und Essen lenken dich kurzfristig von deinem emotionalen Schmerz ab. Langfristig führt diese Abwertung schmerzhafter Emotionen zu einer Verstärkung der Depression. Dadurch kann sich ein depressives Gefühl in dir breit machen.
- Depression und Essstörungen nähren sich von Scham und Geheimnistuerei. Deshalb fällt es vielen Menschen sehr schwer, offen und ehrlich darüber zu sprechen. Dadurch kommen die wahren und tiefer liegenden Themen oftmals nicht zum Vorschein.
- Eine Depression ist häufig nicht sofort erkennbar. Jede Depression kann anders aussehen und sich unterschiedlich ausdrücken. Eine Depression kann bedeuten, dass sich die Person isoliert oder immer so tut, als wäre sie glücklich. Eine Depression kann auch Druck und Stress verursachen oder körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen mit sich bringen. So wie ein Mensch zum Beispiel den ganzen Tag nur noch isst und zunimmt, haben andere Menschen gar keinen Appetit mehr und nehmen ungewollt ab.
Eine Studie aus dem Sommer 2022 untersuchte den veränderten Appetit bei Menschen mit Depressionen und den Zusammenhang mit bestimmten Strukturen im Gehirn. Auch die “Ernährungsdocs” geben Tipps im Umgang mit Depressionen und wie man bestimmte Nahrungsmittel nutzen kann, um die Krankheit zu lindern.
„Die Veränderungen im Belohnungssystem waren bei schweren Depressionen so markant, dass [..] man vorhersagen konnte, ob jemand unter einem Anstieg oder Verlust des Appetits leidet“ – Prof. Dr. Nils Kroemer
Ich bin betroffen: Was tun?
Wahrnehmung ist der 1. Schritt. Schäm dich nicht, falls du bemerkst, dass du eine Depression und/oder eine Essstörung haben könntest. Psychotherapie oder Klinikaufenthalte sind verschiedene Arten von Unterstützung, die dich auf deinem Weg aus dem verzwickten Zusammenspiel von Depression und Essstörungen begleiten können.
Falls du gerade eine Psychotherapie machst, sprich das Thema ganz offen und ehrlich an. Nur dann kann dein Psychotherapeut*in dich entsprechend begleiten.
Selfapy bietet kostenlose Online-Therapieprogramme auf Rezept bei u.a. Depression, Bulimie und Binge-Eating an. Die Kurse können vor, während oder nach einer Therapie gemacht werden. Wenn du zum Beispiel eine Depression und eine Essstörung hast, kannst du dir auch beide Kurse verschreiben lassen. Alles was du brauchst ist eine ärztliche Diagnose oder ein Rezept.
Mach hier den Test und finde heraus, ob das Angebot von Selfapy zu dir passt.
Quellenangaben
- Herpertz, S., de Zwaan, M., Zipfel, S. (Hrsg.) (2015). Handbuch Essstörungen und Adipositas. 2. Aufl. Springer.
- Haenel, T. (2018). Die Rolle der Ernährung bei Depressionen. In: Depression - das Leben mit der schwarz gekleideten Dame in den Griff bekommen. S. 191-204. Springer.
- Fairburn, C. G. (2012). Kognitive Verhaltenstherapie und Essstörungen. Schattauer
- Kreutz, H. (2019). Ernährung und Depression: Gibt es Zusammenhänge? Online verfügbar unter https://www.bzfe.de/service/news/aktuelle-meldungen/news-archiv/meldungen-2019/november/ernaehrung-und-depression/ (letzter Zugriff: 18.03.2021)
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ANAD e.V.
- Alex J. Mitchell, Karen Lord, Paul Symonds (2012) Which symptoms are indicative of DSMIV depression in cancer settings? An analysis of the diagnostic significance of somatic and non-somatic symptoms, Journal of Affective Disorders, Volume 138, Issues 1–2, 2012 https://doi.org/10.1016/j.jad.2011.11.009
- https://de.wikipedia.org/wiki/Minnesota_Starvation_Experiment/
- https://web.archive.org/web/20071026050057/
- http://ab-server.uni-leipzig.de/essstoerungen/sammlung/minnesota-studie_keys.html
- https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/komorbiditaeten/?L=0#:~:text=Menschen%20mit%20Magersucht%20sind%20h%C3%A4ufig,Depressionen%20zu%20den%20h%C3%A4ufigsten%20Komorbidit%C3%A4ten.
- https://www.uni-bonn.de/de/neues/appetitveraenderung-bei-depressionen