Zurück 12 Jul 2023 · 7 min lesezeit
von Nicole Lücke
Dysthemie: Chronische depressive Verstimung

"Mir geht es dauerhaft schlecht, irgendetwas stimmt nicht mit mir. Warum bin ich immer so traurig wo ich doch eigentlich gar keinen Grund habe?" So könnte ein typischer Satz bei Betroffenen einer Dysthymie klingen.

Depression und Dysthymie sind sich sehr ähnlich und doch im Kern unterschiedlich: Bei einer Depression sind die Symptome meist schnell bemerkbar und haben einen direkten Einfluss auf das alltägliche Leben. Bei einer Dysthymie tragen Betroffene meist schon lange ein "unerwünschtes Päckchen" mit sich herum, ohne dass sie so richtig aus dem alltäglichen Verkehr gezogen werden.

Eine Dysthymie wird diagnostiziert, wenn die Symptome mindestens zwei Jahre anhalten. Bei einer Depression sind es 14 Tage.

Chronische depressive Verstimmung: Was ist Dysthymie?

Bei der Dysthymie (auch: Dysthymia) handelt es sich um eine chronische depressive Verstimmung. Die Betroffenen leiden anhaltend unter einer gedrückten Gemütsverfassung, sie haben nicht viel Energie und empfinden ihren Alltag als anstrengend. An Hobbys und Unternehmungen haben sie kaum Interesse, und auch von Freunden und Familie ziehen sie sich über kurz oder lang meistens zurück. Nach der Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (Dysthymie – ICD 10) besteht die Erkrankung in der Regel über mehrere Jahre.

Dysthymie: Bedeutung

Der Begriff setzt sich aus den altgriechischen Wörtern dysthymós („missmutig“) und thymós („Gemüt“) zusammen.
Viele Betroffene halten die Anzeichen für ihre normale Gemütslage. Sie wissen also gar nicht, dass sie eine Erkrankung haben, die behandelt werden könnte. Sie ertragen ihre schlechte Stimmung daher oftmals sehr lange, ohne eine Therapie in Betracht zu ziehen.

Die typische Dysthymie: Symptome

Eine permanent gedrückte Stimmung ist nicht das einzige Anzeichen einer Dysthymie.

  • Schlafstörungen
  • ständige Müdigkeit
  • Konzentrationsstörungen
  • das Gefühl, nicht gut genug zu sein (Insuffizienzgefühle)
  • Überforderung bei alltäglichen Aufgaben
  • Unfähigkeit, Freude zu empfinden (Anhedonie)
  • Pessimismus
  • Gereiztheit, Wut
  • ständige Nörgelei
  • keine große Gesprächigkeit

Mit einer Dysthymie können weitere Probleme oder Erkrankungen Hand in Hand gehen. Das sind die häufigsten:


  • Störungen der Persönlichkeit
  • soziale Phobien
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Alkoholmissbrauch
  • Drogenmissbrauch

Dysthymie oder Depression: Unterschied

Die Dysthymie-Symptome klingen im ersten Moment wie die Anzeichen einer unipolaren Depression, aber es gibt zwei große Unterschiede:

  1. Zum einen hält diese schlechte Stimmung schon über mindestens zwei Jahre an, bevor Mediziner*innen von einer Dysthymie sprechen.
  2. Zum anderen sind die Beschwerden bei Weitem nicht so stark ausgeprägt wie bei einer depressiven Episode. Für die Behandlung ist das ein großes Problem. Denn viele Betroffene ahnen gar nicht, dass sie erkrankt sind. Sie glauben, dass ihre negative Sichtweise ein Charaktermerkmal ist, weswegen sie auch nicht zum*zur Arzt*Ärztin gehen.

Dieses Phänomen wird dadurch verstärkt, dass eine Dysthymie oft bei jungen Erwachsenen erstmalig auftritt. Sie haben also das Gefühl, sie seien „schon immer so schlecht drauf“ gewesen. Expert*innen vermuten, dass bis zu fünf Prozent der Bevölkerung von chronischen depressiven Verstimmungen betroffen sind. Falls du denkst, dass du oft auffällig schlecht drauf bist oder „alles schwarzsiehst“ solltest du daher keine Scheu haben, sicherheitshalber eine*n Therapeut*in aufzusuchen.

Dysthymie: Partnerschaft leidet

Der Dysthymie-Alltag ist für alle Beteiligten eine Belastung. Wenn du selbst betroffen bist, verstehen Familie und Freunde vielleicht nicht, wie schlecht es dir geht. Denn Job, Schule & Co. kannst du in der Regel noch gut bewältigen. Sie nehmen deine Probleme deswegen oftmals gar nicht ernst. Aber auch für Angehörige von Dysthymie-Betroffennen ist die Diagnose Dysthymie schwer. Dein Umfeld muss erst lernen, dass es sich um eine Krankheit handelt und du dich nicht einfach „zusammenreißen“ kannst.

In einer Partnerschaft tritt eventuell ein weiteres Problem auf bei einer Dysthymie: Beziehung basiert auf Gefühlen und du hast vermutlich Schwierigkeiten, dich zu Nähe, gemeinsamen Aktivitäten oder Gesprächen aufzuraffen. Viele Menschen mit solch einer Erkrankung beschreiben sich selbst als „gefühlskalt“. Umso wichtiger ist es, dass du eine Behandlung beginnst. Wenn sich die Symptome bessern, wird sich das auch positiv auf deine Partnerschaft auswirken.

Was ist eine Doppeldepression?

Eine Dysthymie beschreibt also eine dauerhaft gedrückte Grundstimmung. Diese kann sich allerdings plötzlich weiter verschlechtern und von einer vollständig ausgeprägten depressiven Episode überlagert werden. Dysthymie und Depression treten also gemeinsam auf. Das nennt sich Doppeldepression (double depression). In vielen Fällen wird die Dysthymie nur erkannt, weil die Patienten*Patientinnen wegen der depressiven Episode zu einer*einem Ärztin*Arzt gegangen sind und im Gespräch (Anamnese) beschreiben, wie sie sich zuvor gefühlt haben und welche Entwicklung bei den jeweiligen Symptomen aufgetreten ist.

Handelt es sich bei der Dysthymie um eine chronische Depression?

Es gibt verschiedene Formen der chronischen Depression – Dysthymie ist eine davon. Normalerweise spricht man von chronischen Depressionen, wenn jemand eine (unipolare) depressive Episode hatte und die Symptome nicht ganz weggegangen sind. Eine Dysthymie kann auch ohne depressive Episode auftreten. Unter dem Strich ist das aber nur eine Frage der Begriffe. Die verschiedenen Ausprägungen lassen sich nicht klar voneinander abgrenzen, da bei einer Dysthymie ja auch eine Doppeldepression entstehen kann. Die Behandlung ist in beiden Fällen die gleiche. Du solltest dir also nicht zu viele Gedanken darüber machen, welche Form bei dir vorliegt.

Was sind Dysthymie-Ursachen?

Bei einer Dysthymie ist es schwer, die genauen Gründe für die Erkrankung auszumachen. Ähnlich wie bei einer depressiven Episode kommen vermutlich mehrere Faktoren zusammen. Es kann mit einer einer genetischen Veranlagung beginnen. Häufig haben andere Familienmitglieder ebenfalls Probleme mit verschiedenen Formen der Depression. Eine Dysthymie zeichnet sich in der Regel dadurch aus, dass Schwierigkeiten in der Kindheit und Jugend hinzukommen. Das können traumatische Erfahrungen wie Missbrauch gewesen sein, Mobbing in der Schule, der Verlust oder die Erkrankung eines Elternteils oder zu hohe Ansprüche der Eltern, verbunden mit permanenter Kritik und Abwertung des Kindes. Wenn Eltern überfürsorglich sind und ein Kind dadurch unselbstständig wird, kann sich das Risiko für eine Dysthymie ebenfalls erhöhen.

Wie sieht die Dysthymie-Behandlung aus?

Falls du chronische depressive Verstimmungen haben solltest, brauchst du für die Behandlung viel Geduld. Da eine Dysthymie über Jahre besteht, geht sie auch nicht von heute auf morgen wieder weg. Es lohnt sich in jedem Fall für dich, den Rat von medizinischem Fachpersonal in Anspruch zu nehmen. Denn durch die richtige Behandlung kann es dir deutlich besser gehen. Am wirksamsten ist eine Kombination aus Medikamenten (Antidepressiva) und Psychotherapie.

Dysthymie: Behandlung durch Antidepressiva

Es ist in der Regel nicht möglich, chronische depressive Verstimmungen allein durch Medikamente zu behandeln. Antidepressiva können aber deutlich dazu beitragen, dass du dich besser fühlst. Das gilt auch dann, wenn eine akute depressive Episode hinzugekommen ist, du also an einer „double depression“ leidest.

Bei Antidepressiva gibt es verschiedene Wirkstoffklassen. In Studien hat sich aber gezeigt, dass keine Medikamenten-Gruppe bei einer Dysthymie deutlich besser ist als eine andere. Du wirst daher mit deinem medizinischen Fachpersonal besprechen, welches Medikament für dich geeignet ist. Falls es nicht gut genug hilft oder du Probleme mit Nebenwirkungen hast, solltest du es auf keinen Fall einfach absetzen, sondern zu deinem*deiner Arzt*Ärztin gehen. Oft ist es nötig, zunächst verschiedene Medikamente auszuprobieren, bis die Behandlung greift. Gegebenenfalls hilft dir eine Kombination verschiedener Wirkstoffe. Hab also Geduld!

CBASP als spezielle Form der Dysthymie-Therapie

Bei chronischen depressiven Verstimmungen ist eine Psychotherapie der wichtigste Baustein der Behandlung. Die Dysthymie ist oft hartnäckig, weil zumindest ein Teil der Ursachen in der Kindheit liegt und du die Krankheit vermutlich schon sehr lange hast. Bei einer Psychotherapie geht es daher unter anderem darum, eingefahrene Denkmuster und Verhaltensweisen aufzubrechen. Dafür hat sich das „Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy“ (CBASP) bewährt. Vereinfacht gesagt, ist diese Methode aus verschiedenen psychologischen Therapieansätzen zusammengesetzt. In einem engen Zusammenspiel mit Therapeuten*Therapeutinnen lernst du unter anderem, deine Situation und deine Gedanken zu analysieren, die Konsequenzen deines Verhaltens zu erkennen und du übst, wie du mit Belastungen besser umgehen kannst. Das CBASP-Verfahren ist noch relativ jung. Deswegen wird es nicht von allen Ärzten*Ärztinnen eingesetzt. Du solltest dich unbedingt speziell danach erkundigen, weil es als die beste Form der Psychotherapie bei chronischen depressiven Verstimmungen gilt.

Ergänzende Maßnahmen bei chronischen depressiven Verstimmungen

Genau wie bei depressiven Episoden ist es auch bei einer Dysthymie sinnvoll, die Behandlung um weitere Maßnahmen zu ergänzen. Gut wären für dich zum Beispiel Sport, Entspannungstechniken und kreative Hobbys. Auch soziale Kontakte können sehr viel dazu beitragen, chronische depressive Verstimmungen zu lindern.

Dysthymie: Heilung möglich, aber selten

Wenn du selbst oder nahestehende Menschen betroffen sind, ist eine Frage für dich besonders wichtig: Ist Dysthymie heilbar? Zunächst eine gute Nachricht: Die Dysthymie-Prognose sieht grundsätzlich nicht schlecht aus. Wenn du dich behandeln lässt, geht es dir wahrscheinlich bald deutlich besser. Tatsächlich ist die Erkrankung sogar heilbar. Allerdings sind die Dysthymie-Heilungschancen nicht sehr hoch. Höchstwahrscheinlich wirst du also dein Leben lang besonders gut auf dich achten und dich unter anderem an die Tipps deines*deiner Psychotherapeuten*Psychotherapeutin halten müssen, damit deine Stimmung gut bleibt.

Ein Artikel von

Nicole Lücke Medizinredakteurin

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Quellenangaben

  1. Bschor, T. et al. (2014). Chronische und therapieresistente Depression — Diagnostik und Stufentherapie. www.aerzteblatt.de. https://www.aerzteblatt.de/archiv/163371/Chronische-und-therapieresistente-Depression-Diagnostik-und-Stufentherapie
  2. Deutsche Depressionshilfe (o. D.). Die Mauer überwinden – Strategien gegen die Hilflosigkeit der chronischen Depression. https://www.deutsche-depressionshilfe.de/files/cms/Buendnisse/Dresden/Vortraege/die_mauer_%C3%BCberwinden.pdf
  3. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2015). S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression. www.awmf.org. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/nvl-005l_S3_Unipolare_Depression_2017-05.pdf
  4. Heim, T. (2019, 1. Oktober). Depressive Verstimmungen. www.deximed.de. https://deximed.de/home/klinische-themen/psychische-stoerungen/symptome/depressive-verstimmung/
  5. Klinik Friedenweiler (o. D.). Klinik für Dysthymie. https://www.klinik-friedenweiler.de/behandlungsfelder/depression/dysthymie
  6. Neurologen und Psychiater im Netz (2017). Jahrelang traurig – chronische depressive Verstimmungen. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/news-archiv/meldungen/article/jahrelang-traurig-chronische-depressive-verstimmungen/
  7. Pschyrembel Online (o. D.). Dysthymie. https://www.pschyrembel.de/Dysthymie/K06FN

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