Zurück 10 Jul 2023 · 9 min lesezeit
von Volker Budinger
Soziale Angst

Ziehst du dich aus dem sozialen Leben zurück und hast im Grunde Angst vor anderen Menschen? Eine soziale Phobie kann sich in unterschiedlichen Situationen bemerkbar machen, etwa durch das Vermeiden von gesellschaftlichen Anlässen, Festlichkeiten oder gemeinsamen Mittagessen mit Kolleg*innen. Häufig löst schon die gedankliche Auseinandersetzung mit einer solchen „Gefahrensituation“ starke Angst aus. Die soziale Phobie gehört zu den psychischen Erkrankungen, die durch ihre Folgen für Betroffene mit am meisten Leid auslösen können. Hier erfährst du, wie sich eine soziale Angststörung äußert und was du dagegen tun kannst.

Wenn die Furcht vor der Kränkung siegt

Die soziale Phobie oder soziale Angststörung zählt zu den phobischen Störungen und sollte nicht unterschätzt werden: Nach Alkoholabhängigkeit und Depression ist die Angst vor sozialer Bewertung die dritthäufigste psychische Erkrankung. Zwischen sieben und zwölf Prozent aller Menschen erleiden mindestens einmal im Leben soziale Angst-Symptome. Oft kann diese Angst vor sozialen Kontakten und „sozialen Situationen“ weitere Probleme wie eine Depression, Alkohol- und Substanzmissbrauch auslösen.

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Was ist soziale Angst?

Eine soziale Phobie ist vor allem eine Angst vor sozialer Bewertung. Die soziale Angststörung zeichnet sich dadurch aus, dass sich Betroffene vor der kritischen Betrachtung anderer Menschen fürchten – dabei ist es völlig egal, ob sie dabei tatsächlich bewertet werden. Wie bei allen eigentlich irrationalen Ängsten geht es dabei eher darum, dass es schlicht die Möglichkeit gibt.

„Sozialphobische Ängste zentrieren sich auf zwischenmenschliche Situationen, in denen Betroffene eine subjektiv empfundene Bedrohung des eigenen Selbstwertes verspüren“, sagt Dr. Christa Roth-Sackenheim vom Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP). „Die Ängste bestehen darin, vermeintliche Fehler zu machen, sich ungeschickt oder beschämend zu verhalten und negative Aufmerksamkeit bis hin zur Erniedrigung oder auch Kränkung zu erleben. Den Betroffenen sei dabei durchaus klar, dass ihre Angst vor Menschen unbegründet und übertrieben sei. Allerdings könnten sie sich aus eigener Kraft kaum daraus lösen, da sie ihre Angstgefühle nicht mehr unter Kontrolle hätten.

Soziale Angst: Symptome

Wie äußert sich soziale Phobie? Die soziale Phobie wird in zwei Gruppen unterteilt: die spezifische soziale Phobie und die generalisierte soziale Phobie. Die spezifische soziale Phobie tritt meist unter den gleichen Umständen auf, etwa bei öffentlichen Reden, Referaten oder Sportprüfungen – also in allen Situationen, in denen eine Leistung abverlangt wird und Betroffene „versagen“ könnten. Aber eben nur in spezifischen Situationen. Im Gegensatz dazu zeigen Menschen mit einer generalisierten sozialen Phobie eine Unsicherheit in vielfältigen Situationen und sind im Alltag generell unsicher.

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Typische Ängste der sozialen Phobie

Die soziale Angststörung ist symptomatisch auch meist eine Ansammlung verschiedener Ängste wie etwa:

  • der Angst, sich mit möglichen Partner*innen zu treffen
  • der Angst vor Kritik und tatsächlicher Bewertung
  • der Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen oder sich in irgendeiner Form zu präsentieren
  • der Angst vor anderen Menschen zu essen oder zu trinken
  • unter Umständen der Angst vor Menschenmengen

Menschen mit sozialer Phobie haben vor sozialen Gruppensituationen so große Angst, dass sie mit körperlichen Reaktionen reagieren.

Körperliche Symptome der sozialen Phobie

Dazu zählen unter anderem:

  • zitternde Hände
  • generelles Zittern
  • Schweißausbrüche
  • Herzrasen
  • Erröten
  • Vermeiden von Blickkontakt
  • Sprechhemmungen
  • Schluckbeschwerden
  • Übelkeit
  • Verkrampfungen
  • Schwindelgefühle
  • Durchfall
  • vermehrter Harndrang
  • Blackout
  • Panikattacken sind mit sozialer Angst ebenfalls häufig assoziiert

Besonders die körperlichen Reaktionen starten einen Teufelskreis. Denn die Betroffenen haben in heiklen Situationen den Eindruck, die Kontrolle über ihren Körper zu verlieren. Dadurch wächst die Angst vor der Angst und das Ohnmachtsgefühl verstärkt sich zunehmend.

Die Folge: Wer bereits Angst vor der Angst vor Menschen hat, entwickelt ein oft ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, mit anderen Menschen überhaupt zusammenzutreffen. Dies kann dazu führen, dass soziale Kontakte vermieden und das Leben in der Öffentlichkeit gänzlich abgebrochen wird. Betroffene sind oft sozial isoliert.

Das kann in der Folge die Entstehung von Depression, Alkohol- oder Substanzabhängigkeiten begünstigen.

Soziale Angst im Beruf

Soziale Ängste und Leistungsängste wie etwa Prüfungsangst scheinen daher eng miteinander verknüpft zu sein. Sie haben aber ungleiche Ursachen, lassen sich unterscheiden und werden auch unterschiedlich behandelt.

Wie viel Angst ist normal?

Hast du vor einer Rede oder Prüfung auch gelegentlich Herzklopfen oder fällt es dir schwer, bei einer "sozialen Interaktion" den ersten Schritt zu wagen? Dann muss es sich nicht unbedingt um eine Angststörung handeln, sondern lediglich um eine Reaktion des Körpers auf Nervosität.

Du kannst den Unterschied zwischen Lampenfieber, Prüfungsangst oder Schüchternheit und einer sozialen Angststörung an den Symptomen erkennen. Dabei schaffen Menschen mit sozialer Angststörung Dinge, die ihnen sonst mühelos gelingen, nicht mehr, sobald andere Menschen in der Nähe sind. Das gilt als ein besonders sicheres Anzeichen für eine soziale Angststörung.

Eine soziale Phobie kann dazu führen, dass etwa für einen Job top-qualifizierten Menschen plötzlich fachlich nichts mehr gelingt, sobald sie das Ergebnis anderen Personen präsentieren sollen – sie haben Angst, vor anderen Menschen zu reden. Wenn Außenstehende dann „soziale Phobie“ mit „Angst vor Arbeit“ gleichsetzen, werden Betroffene oft tatsächlich abgewertet und als „dumm“ oder „unfähig“ eingestuft – obwohl das natürlich nicht stimmt. Insbesondere betrifft die Angst vor Menschen dabei fremde, nicht vertraute Menschen. In manchen Fällen und je nach Vorgeschichte betrifft es aber generell alle Menschen, im Extremfall sogar die eigene Familie.

Ursachen für die Angst vor Menschen

Wie entsteht soziale Phobie? Expert*innen nehmen eine ganze Reihe verschiedener Faktoren als Ursachen für soziale Angststörungen an. Zu den soziale-Phobie-Ursachen gehören demnach Aspekte aus dem Verhalten und Erleben, wie mögliche traumatische und andere Erlebnisse oder falsche Konditionierung, aber auch körperliche Faktoren wie eine Störung der Hirnchemie oder genetische Prädisposition. Oft kommen mehrere Ursachen dabei zusammen.

Die Angst vor Menschen entwickelt sich oft bereits im Kindesalter oder in der frühen Jugend. Betroffene, die soziale Angststörungen zeigen, haben in der Vergangenheit häufig schlechte Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht und wurden ausgelacht oder gedemütigt.

Ein Kind ist äußerst empfänglich für die Meinungen von Gleichaltrigen, Eltern oder Lehrer*innen: Wer von Bezugspersonen ständig abgewertet, lächerlich gemacht oder kritisiert wird, ohne ein gefestigtes Selbstbewusstsein zu haben, entwickelt schnell negative Denkmuster und neigt zu selbstkritischen Gedanken.

Auch ein wenig empathischer, aber extrem kontrollierender oder autoritärer Erziehungsstil kann dazu beitragen. Das geringe Selbstwertgefühl führt in den Folgejahren dazu, dass keine Freundschaften geschlossen und soziale Fähigkeiten weniger ausgebaut werden.

Häufig entwickeln auch Personen, die überhöhte Erwartungen an sich selbst haben, eine Angst vor (fremden) Menschen. Soziale Isolation „schützt“ sie vor weiterem Versagen und kränkenden Erniedrigungen.

Traumatische Erlebnisse als Auslöser

Soziale Angststörungen können aber auch im Sinne einer posttraumatischen Störung aus einschneidenden traumatischen Erlebnissen hervorgehen. Das können der Verlust eines nahestehenden Familienmitglieds oder traumatisierende Ereignisse wie Unfälle oder körperliche Übergriffe sein. Dementsprechend kann eine soziale Phobie auch im Erwachsenenalter auftreten.

Störungen im Gehirn führen zur Angst

Auf der Ebene der körperlichen Ursachen werden genetische Faktoren diskutiert, die etwa die Hirnchemie beeinflussen. So sehen Forscher*innen ganz ähnlich wie bei Depressionen und vielen anderen psychischen Erkrankungen Hinweise auf eine gestörte Balance der Neurotransmitter Serotonin und Dopamin. Da an dieser Stelle Psychopharmaka wie Antidepressiva oder Angstlöser (Anxiolytika) ansetzen, eröffnet das auch Möglichkeiten für eine Therapie der Angststörung mit Medikamenten.

Hirnforscher*innen haben bei Betroffenen auch auffällige Aktivitäten in den vorderen und seitlichen Arealen des Gehirns entdeckt. Die Wissenschaftler*innen schließen daraus, dass diese Fehlsteuerungen in der Kognition und bei der Verarbeitung von Emotionen bewirken. Damit werden besonders soziale Situationen falsch eingeschätzt und die Selbstwahrnehmung wird verzerrt. Darüber hinaus können soziophobe Menschen die Gefühle, die dabei entstehen, schlecht kontrollieren. 

Diese Maßnahmen können helfen

Erkennst du dich darin wieder? Was tun gegen soziale Angst? Phobien, wie die Angst vor (fremden) Menschen, sind heilbar, ist die gute Nachricht. Dafür ist zunächst eine Konfrontation mit den eigenen Ängsten erforderlich. Wer dauerhaft gegen die Angst ankämpft, überfordert sich und verstärkt die Symptome einer sozialen Phobie. Eine Annahme der Angst führt hingegen dazu, dass die kräftezehrenden Kontrollversuche unterlassen werden.

Um soziale Ängste loswerden zu können, hilft dir in erster Linie eine Psychotherapie: Wissenschaftler*innen des Forschungsverbundes zur Psychotherapie der sozialen Phobie (SOPHO-NET) untersuchten die Wirksamkeit von Psychotherapien bei Menschen mit sozialer Phobie. Das Ergebnis war eindeutig: Eine Psychotherapie sorgt dafür, dass die Symptome der Phobie abklingen oder ganz verschwinden – das beobachteten Forscher*innen auch bei den veränderten Hirnaktivitäten. 

„Einfach ohne jegliche Psychotherapie abzuwarten, ist keine sinnvolle Alternative, um soziale Ängste in den Griff zu bekommen“, sagt Professor Dr. Falk Leichsenring, Leiter des Forschungsverbundes.

Soziale Angst überwinden durch Konfrontation

Soziale Ängste behandeln Psychotherapeut*innen mit einer Psychotherapie. Dabei lernst du, souverän mit deiner Angst vor Menschen umzugehen. Es werden Strategien zur Emotionsregulierung entwickelt und die Selbstkontrolle wird gestärkt. Du identifizierst deine persönlichen Auslöser der sozialen Phobie und durchbrichst mit interaktiven Übungen den Angstkreislauf. So musst du auftretende Symptome nicht mehr unterdrücken, sondern kannst sie bewusst zulassen und wahrnehmen.

Diese Konfrontation erfolgt so lange, bis die Angst abklingt und nicht mehr als solche wahrgenommen wird. Durch die Auseinandersetzung mit der Phobie erlangst du innere Stärke und kannst souveräner mit unbekannten Situationen umgehen. Im Rahmen einer Psychotherapie lernst du zudem deine individuellen Stärken kennen und festigst dein Selbstwertgefühl. Anders gesagt: Du übst, dich unter Menschen aufzuhalten, bis es dich nicht mehr stört.

Das ist aber nicht das einzige Instrument gegen soziale Angst – Therapie mit angstlösenden Medikamenten (Anxiolytika) oder auch Antidepressiva kann als ergänzende Maßnahme deinem medizinischen Fachpersonal verschrieben werden.

Lange Wartezeiten für einen Therapieplatz überbrücken

Eine Psychotherapie (gegebenenfalls ergänzt mit Medikamenten) ist die einzig wirksame Methode gegen eine soziale Phobie, allerdings liegt die Wartezeit oft zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Du kannst diese Zeit mit dem Online-Kurs von Selfapy bei generalisierter Angststörung und Panik überbrücken. Psychoedukative Texte und Videos helfen dir dabei, die Angst vor vielen Menschen zu überwinden.

Darüber hinaus gibt es spezialisiert auf soziale Phobie Selbsthilfe-Angebote vor Ort. Konkrete Gruppen in deiner Nähe findest du etwa über den Bundesverband der Selbsthilfe Soziale Phobie e.V.

Bist du Angehörige*r oder Freund*in eines*einer von einer sozialen Angststörung Betroffenen, gibt es ebenfalls dort sowie bei vielen Beratungsstellen Hilfe, wie du mit der Situation umgehen kannst. Denn eine soziale Phobie ist nicht nur für Betroffene selbst eine große Belastung, sondern auch für ihr Umfeld.

Ein Artikel von

Volker Budinger Medizinredakteur

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Quellenangaben

  1. Fydrich T. (2009). Soziale Phobie. In: Margraf J., Schneider S. (eds) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. S. 45-64. Springer.
  2. Fehm L., Knappe S. (2011). Soziale Phobie. In: Wittchen HU., Hoyer J. (eds) Klinische Psychologie & Psychotherapie. S. 953-969. Springer.
  3. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2014). Angst vor Menschen – Studie belegt: Psychotherapie hilft bei sozialer Phobie. https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/angst-vor-menschen-studie-belegt-psychotherapie-hilft-bei-sozialer-phobie-2730.
  4. Berufsverband Deutscher Psychiater (2017). Behandlung der sozialen Phobie normalisiert Hirnveränderungen. www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org
  5. https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/ratgeber-archiv/meldungen/article/behandlung-der-sozialen-phobie-normalisiert-hirnveraenderungen

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